Der folgende Text stammt vollständig von Dirk & Manuela Schäfer: Der Tervueren
Der Tervueren – Belgiens Hütehund mit Löwenmähne
Wenn man einem Tervueren zum ersten Mal begegnet, bleibt der Blick oft an seinem ausdrucksstarken Gesicht und dem eleganten, langhaarigen Fell hängen – eine Erscheinung wie aus einem Märchen. Doch wer glaubt, er hätte es hier mit einem reinen Schönheitsprodukt zu tun, wird überrascht sein, wie viel Substanz, Temperament und Arbeitsfreude hinter diesem edlen Erscheinungsbild steckt.
Herkunft & Geschichte
Der Tervueren ist eine von vier Varietäten des Belgischen Schäferhundes, neben dem kurzhaarigen Malinois, dem langhaarigen schwarzen Groenendael und dem rauhaarigen Laekenois. Seine Wurzeln liegen im späten 19. Jahrhundert in Belgien, als man begann, die zahlreichen regionalen Schäferhunde zu vereinheitlichen.
Während der Malinois schnell im Diensthundesektor Fuss fasste, blieb der Tervueren zunächst vor allem ein vielseitiger Hüte- und Wachhund – insbesondere geschätzt im flämischen Landesteil rund um das Dorf Tervuren, das ihm auch seinen Namen gab. Seine Fähigkeiten lagen in der Viehführung, dem Schutz von Hof und Familie – und seiner Anpassungsfähigkeit an die wechselnden Aufgaben im ländlichen Alltag.
Erst später entwickelte sich eine gezieltere Zucht, die neben Leistung auch zunehmend Wert auf die Optik legte – insbesondere bei der heutigen Showlinie. Dennoch blieb die Arbeitslinie – oft weniger voluminös, aber dafür belastbarer – ebenfalls erhalten.
Charakter & Wesen – sensibel, clever, anspruchsvoll
Ein Tervueren ist kein Hund für jedermann – aber für den richtigen Menschen ein Partner fürs Leben.
Diese Hunde sind unglaublich intelligent, wachsam, extrem menschenbezogen und gleichzeitig schnell im Kopf – ein Geschenk für ambitionierte Halter, aber auch eine Herausforderung für Unerfahrene. Sie beobachten genau, lesen kleinste Stimmungen und reagieren oft „mitdenkend“, ja fast intuitiv.
Typisch ist ihr ständiges Bedürfnis nach Bindung und Aufgabe. Sie brauchen keinen Befehlston, sondern eine Führung, die sie respektieren können. Härte zerstört das Vertrauen – Konsequenz und Klarheit sind hingegen das Fundament.
Ein unausgelasteter oder falsch gehaltener Tervueren kann sich in Nervosität, Frustverhalten oder übertriebenem Kontrollzwang äußern. Ein gut geförderter Tervueren hingegen zeigt Traumpartner-Qualitäten: treu, arbeitsfreudig, beschützend und mit viel Herz.
Einsatzgebiete & Aufgaben – Hütehund, Sporthund, Familienbegleiter
Auch wenn der Tervueren im Vergleich zum Malinois seltener im Polizeidienst zu sehen ist, steht er ihm in Sachen Leistungsfähigkeit kaum nach – sofern die Linie stimmt. Er eignet sich hervorragend für:
- Hundesport (Obedience, Agility, IGP, Mantrailing, Treibball)
- Flächensuche, Rettungshundearbeit
- Therapie- oder Besuchshundarbeit (bei passendem Wesen!)
- Hoftierhaltung, klassische Hütearbeit (bei entsprechender Prägung)
- Wachhund mit sozialer Bindung
Allerdings gilt: Diese Rasse braucht tägliche mentale und körperliche Beschäftigung, echte Aufgaben und einen Lebensrhythmus, der auch seinen Bedürfnissen gerecht wird. Ein Leben im Zwinger, ohne Anschluss, zerstört das Wesen dieser Hunde.
Zuchtlinien – Show vs. Leistung
Im heutigen Zuchtbild finden sich – wie bei vielen Arbeitshunden – zwei Hauptausrichtungen:
Die Showlinie
- Optisch meist prächtiger, mit üppigem Fell, satter Farbe und oft mehr Substanz.
- Vom Wesen her häufig etwas ruhiger, weniger trieblich, familienorientierter.
- Nicht zwingend „einfacher“, aber oft weniger explosiv in der Arbeitsveranlagung.
Die Arbeitslinie
- Leichter im Körperbau, weniger auffällig im Haarkleid, oft dunkler gezeichnet.
- Wesentlich triebiger, reaktionsschneller, mit hoher Reizoffenheit.
- Bedarf einer sehr klaren, arbeitsorientierten Führung.
Innerhalb der Arbeitslinie unterscheidet man häufig noch:
- Sportlinie (z. B. IGP): extrem auf „flashy“ Bewegungen gezüchtet, sehr sensibel, mit hoher Grundspannung – häufig „nervlich dünner“.
- Dienst-/Ringsportlinie: kräftiger, nervenstärker, ausgeglichener – aber dafür oft nicht so spektakulär im Gehorsam, weil sie mehr „in sich ruhen“.
Der Züchter, die Verpaarung und die Welpenaufzucht sind entscheidend, wie sich ein Tervueren entwickelt – und nicht selten sind Mischformen oder Übergänge zwischen den Linien anzutreffen.
Gesundheit & typische Probleme
Der Tervueren gilt im Allgemeinen als robust, hat aber – wie viele mittelgroße Gebrauchsrassen – einige rassespezifische Risiken:
- HD (Hüftdysplasie) – insbesondere bei starkem Sporteinsatz
- Epilepsie – kommt vereinzelt vor, teils erblich bedingt
- Allergien & Hautprobleme, besonders bei Showhunden mit viel Unterwolle
- Autoimmunerkrankungen – sehr selten, aber bekannt
- Überempfindlichkeit auf Stress (bei übertriebener Zucht auf Reizempfänglichkeit)
- Kognitive Erschöpfung im Sport – durch Dauerüberforderung
Ein seriöser Züchter achtet auf Gesundheit, Wesensstabilität und artgerechte Aufzucht – und prüft das Umfeld der Welpeninteressenten genau.
Haltung & Alltag – dieser Hund will mitgestalten
Der Tervueren braucht Raum für Bewegung, aber noch mehr braucht er eine Bezugsperson mit Herz, Hirn und Haltung. Er will dazugehören – mitten im Alltag stehen, lernen, arbeiten, denken.
Er ist kein „Hofhund“, kein reines „Kuscheltier“ und schon gar kein Anfängerhund. Doch wer sich ihm widmet, erhält einen loyalen Partner, der bereit ist, durchs Feuer zu gehen.
Er liebt:
- Struktur und Tagesrhythmus
- Klares Training ohne Drill
- Körperliche und geistige Auslastung
- Eine Bezugsperson, die führt, ohne zu dominieren
Er hasst:
- Isolation
- Reizüberflutung ohne Ziel
- Inkonsequenz
- Lieblosigkeit
Der Tervueren ist ein charismatischer, wacher, eleganter Arbeitshund mit Herz und Verstand. Er kann Familienmitglied, Sportler, Hofwächter oder treuer Begleiter sein – aber nur, wenn er verstanden, gefördert und respektiert wird.
Wer diese Rasse wählt, entscheidet sich nicht nur für einen Hund, sondern für einen Lebensstil mit Verantwortung.
Quelle: Dirk & Manuela Schäfer Der Tervueren